| Historismus Mit Historismus werden allgemein stilistische Rückgriffe auf historische Kulturepochen bezeichnet. Der Historismus im eigentlichen Sinne ist eine Strömung des 19. Jahrhunderts, die sich bereits im 18. Jahrhundert ankündigte, ihre Hauptbedeutung - unter dem Eindruck der dem Mittelalter zugewandten Romantik - in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entfaltete und bis zum Ende des Ersten Weltkriegs fortbestand. Der Historismus wirkte sich vor allem in der Architektur, aber auch im Kunstgewerbe und in der bildenden Kunst aus. Historische Kunstwerke leiten ihr stilistisches Formenvokabular (Form) direkt aus vergangenen Epochen ab, wobei es häufig leicht modifiziert auftritt und/oder verschiedene Stile miteinander kombiniert. Als typisches Kennzeichen gilt der Stilpluralismus, d.h., verschiedene «Stile» erscheinen zeitgleich. Insbesondere in der Architektur unterscheidet man - je nach inhaltlicher bzw. formaler Anbindung - in Neoromanik (Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, Berlin, 1891-1895), Neogotik (Votivkirche, Wien, 1856-1879), Neorenaissance (Gemäldegalerie, Dresden, 1847-1855) und Neobarock (Reichstag, Berlin, 1884-1894). In der bildenden Kunst lässt sich diese Unterteilung kaum vornehmen, wenngleich Maler wie Jean-Baptiste Carpeaux, Hendrik Leys, Hans Makart oder Karl Theodor von Piloty auf unterschiedliche Weise an historische Stoffe und Darstellungsformen anknüpften. Das Kunsthandwerk orientierte sich bevorzugt an außereuropäischen Vorbildern, wie z.B. an der indischen oder japanischen Kunst. Besondere Bedeutung kam darüber hinaus bezeichnenderweise dem Denkmal zu, das im 19. Jahrhundert eine nie dagewesene Blüte in allen denkbaren Stilen erlebte. Die Überlegungen des Historismus zielen darauf ab, den stilistischen Unsicherheiten und kulturellen Orientierungsschwächen des 19. Jahrhunderts durch den Rückgriff auf bereits «bewährte» historische Stilmuster stabile Werte entgegenzusetzen. Oder anders formuliert: Die Thematisierung der Geschichte, der vergangenen Kulturleistungen genoss höhere Priorität als die Bemühung um neue, der Zeit entsprechende Kunstformen. Davon hebt sich die Moderne grundsätzlich ab, da sie mit der Tradition bricht und nach einer die Bedingungen der Zeit reflektierenden künstlerischen Sprache sucht. Bis zum Beginn der Postmoderne wurde der Historismus durchgängig negativ bewertet, insofern man ihm eine epigonale Haltung, einen Mangel an kreativer Fantasie und Originalität zum Vorwurf machte. Erst durch die Postmoderne, die ihrerseits historische Stilelemente zitiert, wandelte sich diese Auffassung, sodass heute der Historismus ausgewogener beurteilt wird. © Königsdorfer Medienhaus, Frechen (René Zey) | | | | | | | | | | | | | |